Einsamkeit im Alter: Eine Frage sozialer Ungleichheit(en)?

Mit der Veröffentlichung der bundesweiten Strategie gegen Einsamkeit durch das Bundesministerium für Frauen, Senioren, Familie und Jugend (BMFSFJ) im Dezember 2023 zieht das Thema Einsamkeit bis heute in aktuelle gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Diskurse ein. Das im Jahr 2022 entstandene Projekt „Kompetenznetz Einsamkeit“ (KNE), angesiedelt am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS e.V.), arbeitet die Thematik seither wissenschaftlich für die Öffentlichkeit auf.

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Einsamkeit wird als Begriff im alltäglichen Sprachgebrauch häufig deckungsgleich mit oder unscharf getrennt von nah verwandten Begriffen und Konzepten, wie Depressivität, Alleinsein oder sozialer Isolation verwendet (Luhmann 2022). Dabei lässt er sich jedoch klar differenzieren. Einsamkeit wurde in der Wissenschaft bisher in vielen unterschiedlichen Disziplinen untersucht. Die heute auch in benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen verwendete Definition stammt ursprünglich aus der Psychologie (Perlman & Peplau 1981). Demnach wird Einsamkeit als subjektiv empfundene qualitative oder quantitative Unzufriedenheit mit bzw. Diskrepanz zwischen dem IST-Zustand und dem gewünschten SOLL-Zustand des persönlichen sozialen Netzwerkes gerahmt (ebd.). Dies unterscheidet Einsamkeit von der objektiv und in Zahlen abbildbaren sozialen Isolation (Luhmann 2022). Wer als sozial isoliert gilt, muss diesen Zustand also nicht automatisch als einsam empfinden (ebd.) – dennoch zeigt sich ein tendenziell größeres Risiko Einsamkeit zu empfinden bei sozial isolierten Personen (Huxhold et al. 2022).

Ältere Menschen in Deutschland empfinden Einsamkeit zwar nach Messungen des Einsamkeitsbarometers der Bundesregierung nicht häufiger als jüngere Vergleichsgruppen (BMFSFJ 2024), dennoch zeichnet sich die zweite Lebenshälfte durch eine Vielzahl an Übergängen aus, die einen erhöhten (sozialen) Unterstützungsbedarf durch soziale Netzwerke bedürfen können (Filip & Aymanns 2010). Soziale Unterstützungsnetzwerke können dabei wie ein Puffer wirken, indem sie Personen in Übergangsphasen oder durch kritische Lebensereignisse begleiten (Cohen & Wills 1985; Filip & Aymanns 2010). Ältere Alleinlebende, Ältere ohne Partner:in und ohne enges Verhältnis zur Nachbarschaft erweisen sich zuletzt 2020 als besonders einsam (Huxhold & Tesch-Römer 2021). Nahräumlich sozial integrierte Personen, die mit anderen Leben, in einer Partner:innenschaft sind, und ein enges Verhältnis zur Nachbarschaft haben, sind hingegen zu weitaus geringeren Anteilen einsam (ebd.).

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Ältere armutsgefährdete Personen (ab 60 Jahren) haben zudem nicht nur ein zahlenmäßig kleineres soziales Netzwerk, sie empfinden Einsamkeit auch zu einem signifikant größeren Anteil als ältere Menschen mit mittlerem oder hohem Einkommen (Huxhold et al. 2023). Einsamkeit im Alter wird demnach häufig aus soziologischer Perspektive als Manifestation von sozialen Ungleichheiten, die entweder qua Geburt bestehen oder durch Lebensereignisse hervorgerufen werden, gedeutet (Simonson & Tesch-Römer 2022: 7).

So zeigen auch Untersuchungen des KNE, dass insgesamt eine größere Einsamkeitsbelastung bei Angehörigen der LSBT*I*Q-Community – also lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren Personen – im Vergleich zu nicht LSBT*I*Q-Personen besteht (Arriagada 2025). Darunter sind besonders trans*-Personen, nicht-binäre Personen und bi-, pan- sowie asexuelle Personen von Einsamkeit belastet (ebd.). Gründe dafür können sowohl äußere als auch und innere Faktoren sein (ebd.). Erstere beziehen sich dabei auf Diskriminierung und Gewalt, wohingegen Letztere verinnerlichte Selbstablehnung berücksichtigen (ebd.). Zudem sind Beziehungen zu Herkunftsfamilien (familiales Netzwerk) unter LSBT*I*Q-Personen zu größeren Anteilen belastet – sie werden jedoch oft durch Freundschaften oder Wahlfamilien kompensiert (ebd.). Der Zugang zu kompensatorischen sozialen Netzwerken außerhalb der Herkunftsfamilie wird jedoch durch regionale Gegebenheiten und individuelle Erfahrungen beeinflusst und erweist sich daher nicht als selbstverständlich (ebd.).

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Ältere LSBT*I*Q-Personen (ab 50 Jahren) erfahren häufiger Altersdiskriminierung in der Öffentlichkeit, wodurch der signifikant geringere Anteil öffentlich queer lebenden Personen im Vergleich zu Jüngeren erklärt werden kann (de Vries & Zindel 2025). Auch eine starke Differenz zu Cis-heterosexuellen Personen im Empfinden, (sehr) oft außen vor oder sozial isoliert zu sein, zeigt sich besonders bei älteren LSBT*I*Q-Personen (de Vries & Zindel 2025). Sie vermissen die Gesellschaft anderer häufiger und besuchen öfter Nachbar:innen und Freund:innen als Familie (ebd.). Mit Freund:innen und Bekannten werden auch eher persönliche Gefühle und Gedanken geteilt (ebd.). Das kompensatorische soziale Netzwerk erweist sich hier demnach als besonders wichtig.

Um älteren LSBT*I*Q-Personen einen Zugang zu anderen Gleichaltrigen und
-gesinnten zu ermöglichen, bietet der Rubicon e.V. zum Beispiel einen Besuchsdienst für ältere LSBT*I*Q-Personen an. Einen ausführlichen Beitrag auf unserer Website dazu finden Sie unter u.s. Link.

Literaturhinweise

Arriagada, C., 2025: Factsheet – Einsamkeit bei LSBTIQ*-Personen: Was ist über Einsamkeitsbelastung von LSBTIQ*-Personen bekannt? Kompetenznetz Einsamkeit (KNE).

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSJ], 2023: Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Cohen, S. & T. A. Wills, 1985: Stress, Social Support and the Buffering Hypothesis. Psychological Bulletin 98: 310-357.

De Vries, L. & Z. Zindel, 2025: Lebenssituation, Gesundheit und soziale Teilhabe älterer LSBTQI*-Menschen in Deutschland: Expertise zum Neunten Altersbericht der Bundesregierung, 2025. Berlin: Deutsches Zentrum für Altersfragen.

Filipp, S.-H. & P. Aymanns, 2010: Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen: Vom Umgang mit den Schattenseiten des Lebens. Stuttgart: Kohlhammer.

Huxhold, O. & G. Henning, 2023: The Risk of Experiencing Servere Loneliness Across Middle and Late
Adulthood. The Journals of Gerontology, Series B: Psychological Sciences and Social Sciences 78: 1668- 1675.

Huxhold, O. & C. Tesch-Römer, 2021: Einsamkeit steigt in der Corona-Pandemie bei Menschen im mittleren und hohen Erwachsenenalter gleichermaßen deutlich. dza aktuell deutscher alterssurvey 04/2021: 3-15.

Huxhold, O., B. Suanet, M. Wetzel, 2022: Perceived Social Exclusion and Loneliness – Two distinct but Related Phenomena. Sociological Science 9: 430-453.

Luhmann, M., 2022: Definition und Formen der Einsamkeit. KNE Expertise 2022/1: S. 3-51.

Perlman, D. & L. Peplau, 1981: Towards a Social Psychology of Loneliness. S. 31-56 in: R. Duck & R. Gilmour (Hrsg.), Personal Relationships in Disorder. London: Academic Press.

Simonson, J. & C. Tesch-Römer, 2022: Ältere Menschen in Deutschland – Verletzlichkeit, Resilienz und Teilhabe: Vortrag Parlamentarischer Abend am 15. Dezember 2022. dza aktuell deutscher alterssurvey 05/2021: 3-7.

Letzte Aktualisierung: 4. Juli 2025

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