Praxis:Nah 07/2025 – Einblick in gelingende Senior:innenarbeit
Der Beginenhof Essen e.V. besteht als gemeinschaftliches Wohnprojekt für Frauen und Kinder bereits seit über zwanzig Jahren. Gestalt hat das Projekt durch den Umbau des ehemaligen Finanzamtes Essen-Süd im Jahre 2007 angenommen, das zu Wohnungen, Appartements, Gemeinschafts- und Arbeitsräumen sowie einem Nachbarschaftscafé umgestaltet wurde. Getragen wird das Projekt von dem gemeinnützigen Verein der Beginen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, neue Wohnformen für Frauen zu schaffen und zugleich die jahrhundertealte Kultur der Beginen in die heutige Zeit zu tragen. Bis zum Einzug der ersten Bewohnerinnen war es ein langer Weg, der sich durch viele Jahre Engagement von den Initiatorinnen Waltraud Pohlen und Ute Hüfken auszeichnet. Heute leben hier Frauen verschiedener Altersgruppen, mit und ohne Kinder, in einem offenen Haus, das individuelles Wohnen mit gemeinschaftlichem Leben verbindet.
Der Beginenhof bietet neben den 24 Privatwohnungen und 14 Appartements des Freien Alten- und Krankenpflege e.V. zahlreiche Räume, die Begegnung und Austausch ermöglichen. Die Veranstaltungs- und Gemeinschaftsräume werden für kulturelle, spirituelle und frauenpolitische Angebote genutzt. Die Gemeinschaft lebt dabei vom Miteinander: Gemeinsame Aktivitäten, wie die regelmäßigen Beginensamstagen, bei denen zusammen gearbeitet und gegessen wird oder die kulturellen Veranstaltungen, die über den Kreis der Bewohnerinnen hinaus in die Stadtgesellschaft wirken, stiften Gemeinschaft. Auch berufliches Arbeiten ist Teil des Projekts. Einige Frauen nutzen Praxen oder Büros im Haus, andere verbinden Wohnen und Arbeiten direkt in ihrer Wohnung. So ist der Beginenhof nicht nur ein Zuhause, sondern auch ein Ort, an dem neue berufliche Wege ausprobiert werden können. Wohnen, Arbeiten und Erleben greifen ineinander und schaffen ein Umfeld, das sowohl individuelle Freiräume als auch gemeinsames Gestalten ermöglicht.
Auch in den vergangenen Jahren hat sich das Projekt stetig weiterentwickelt. 2012 übernahm die Essener Allbau AG das Gebäude und sicherte die Zukunft des Projekts durch einen Kooperationsvertrag. 2014 öffnete das Nachbarschaftscafé MACHWATT im Erdgeschoss, das seither als Treffpunkt, Ideenschmiede und Kulturraum genutzt wird. 2017 wurde der Beginenhof schließlich mit dem Engagementpreis des Landes NRW ausgezeichnet.
Der besondere Erfolg fußt maßgeblich auf dem Vertrauen und der investierten Zeit der Bewohnerinnen sowie der Wahrung von Balance zwischen Gemeinschaft und persönlichem Rückzug. Private Wohnungen bieten Raum zum Auftanken, während regelmäßige Absprachen und Organisation das gemeinschaftliche Leben ermöglichen. Als Grundlage für das Miteinander muss Vertrauen jedoch aktiv aufgebaut werden. Dazu gehören regelmäßige Treffen und gemeinsame Lagebesprechungen, die helfen das Zusammenleben zu organisieren. Die Beteiligung an Verwaltung, Planung und gemeinsamen Aktivitäten braucht demnach kontinuierliches Engagement, das sich langfristig auszahlt. Zudem erlauben Offenheit und flexible Raumgestaltung, auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Bewohner:innen einzugehen und das Projekt lebendig zu halten. Darüber hinaus sind gute Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung wichtige Bausteine, um das Projekt in die Nachbarschaft zu öffnen und den Zusammenhalt zu stärken.
Der Beginenhof zeigt damit, dass gemeinschaftliches Wohnen im Alter ein Raum für soziale Teilhabe, Selbstbestimmung und gegenseitige Unterstützung sein kann und von gelebter Solidarität, Respekt und Bereitschaft sich auf andere einzulassen lebt.
Kriterien für gelungene Praxis – Zugang, Durchführung und Transfer
Wie die Angebote und Leistungen im Wirkungsbereich der Arbeit mit und für ältere Menschen in Deutschland erweisen sich auch die Kriterien für gelungene Praxis als vielfältig. Sowohl für bereits langjährig tätige Akteur:innen als auch Neueinsteiger:innen haben Köster und Kolleg:innen (2008) in diesem Sinne 12 Qualitätsziele (QZ) formuliert, eingebettet in die drei Qualitätszieldimensionen: Zugangs-, Durchführungs- und Transferqualität, die Akteur:innen in ihrer Arbeit eine Orientierung bieten.
Im Rahmen des Zugangs fragen die zugehörigen QZ nach der Ausarbeitung einer zielgruppenspezifischen und gegenüber Lebenslagen sensiblen Ansprachestrategie für ein Angebot oder eine Leistung von Akteur:innen. In der Dimension Durchführung werden anschließend Fragen nach Selbstbestimmung und Mehrwert für Angebotswahrnehmende und dessen nachhaltige Sicherung gestellt. Im Transfer geht es dann darum, Gelerntes aus der Anwendungsfähigkeit und -praxis sowie den Nutzen zu reflektieren.
Die einzelnen Qualitätsziele dienen dabei als Instrumente, um das individuelle Leitbild der Akteur:innen zu sichern. Aus diesem Grund gilt auch nicht „Je mehr, desto besser“. Qualitätsziele dienen dazu, eine Stimmigkeit und Begründetheit der Angebote und Leistungen mit dem Leitbild der Akteur:innen prozessual (wieder-)herzustellen. Akteur:innen stellen sich im Rahmen der Qualitätsziele also Relfexionsfragen, was für ihr jeweiliges Angebot oder ihre Leistung vor dem Hintergrund des Leitbildes Sinn ergibt und möglich ist.
Zugangsqualität
- Die Vielfalt des Alter(n)s wird in der Ansprachestrategie differenziert berücksichtigt
- Milieu- und geschlechtsspezifische Unterschiede werden berücksichtigt
- Individuelle Bedürfnis-, Interessen- und Ressourcenorientierung an den Engagierten
- Es besteht eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Themen, Ideen und Konzepten
- Transparenz, Sichtbarkeit und Vernetzung mit anderen Akteur:innen im Feld
Durchführungsqualität
- Ein verlässlicher Etablierungsrahmen besteht
- Diversifizierte Expertisen und Kompetenzen kommen zusammen
- Kontakt- und Gemeinschaftsförderung sowie -etablierung werden gefördert
- Prozesse und Strukturen erfolgen partizipativ (Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsstrukturen)
Transferqualität
- Ermöglichungsstrukturen für freiwilliges Engagement und Multiplikation bestehen
- Kompetenz- und ressourcenorientierte Selbstorganisation wird gefördert (Maßnahmen und Projekte, ggf. über Projektrahmen hinaus)
- Kontakt und weitere Informationen
Beginenhof Essen e.V.
Goethestr. 63-65
45130 Essen
Tel.: 0201/714512 (auf AB sprechen)
E-Mail: info@beginenhof-essen.de
Web: www.beginenhof-essen.de
Literaturhinweise
Köster, D., Schramek, R. & S. Dorn, 2008: Qualitätsziele moderner SeniorInnenarbeit und Altersbildung. Oberhausen: ATHENA.
Letzte Aktualisierung: 2. September 2025