Praxis:Nah 09/2025 – Einblick in gelingende Senior:innenarbeit
Das Projekt Agil Leben im Alter, kurz ALIA, will Altern anders gestalten. Ein positiver Blick auf das Alter sowie auf Sorge- und Pflegeberufe leiten uns dabei. Das Ziel: Demografieresilienz und Modell für kleine Gemeinden, für Hilfe und Pflege, für künftiges Bauen, für eine Caring Community – und Bildung ist der zentrale Baustein dazu.
-Dr. David Rester, Projektleitung Agil Leben im Alter (ALIA)
Seit 2018 etabliert und stärkt das Modellprojekt Agil leben im Alter (ALIA) sorgende Gemeinschaften (engl. Caring Communities) zur Gestaltung von Sorge und Pflege in einer alternden Gesellschaft in Bayern. Die LUCE Stiftung folgt mit dem Projekt ALIA dem Ziel, ein Modell für Demografieresilienz in kleinen Gemeinden und ländlichen Regionen durch neue Formen von Sorge und Pflege sowie künftiges Bauen (z. B. durch Wohn- und Versorgungskonzepte) zu schaffen und zu stärken. Die demografische Entwicklung wird dabei weniger als Drohgebärde, sondern vielmehr als Gestaltungschance wahrgenommen. Hierzu wird eine neue Denkweise gefördert, die folgende Aspekte adressiert:
- Positive Bilder von Alter(n) und Pflege
- Potentiale der unterschiedlichen Generationen, insbesondere der Babyboomer
- Möglichkeiten der Teilgabe und Teilhabe
- Verantwortung aller Anspruchsgruppen
- Salutogene Perspektive und Health Literacy/allgemeine Gesundheitskompetenz
- Neue Formen der Kooperation formeller und informeller (gesundheitsfördernder) Strukturen
Als Innovations- und Verantwortungspartnerschaften werden das Modellprojekt in der Gemeinde Weiherhammer und die Transferprojekte (u.a. Sorgende Stadt Hemau) in Kooperation mit dem Verein zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter e. V. (SEGA) sowie den jeweiligen Kommunen und deren zivilgesellschaftlichen und unternehmerischen Akteur:innen partizipativ realisiert und von Hochschulen wissenschaftlich begleitet. Das Projekt vereint dabei verschiedene sozialraumorientierte Maßnahmen rund um Sorge und Pflege, entwickelt entsprechende (Bildungs-) Angebote und steuert hierzu den Prozess der Partizipation durch Vernetzung und Koordination. Zielgruppe sind dabei alle Anspruchsgruppen des Sozialraums mit Kommune und zivilgesellschaftlich Engagierten, Gesundheits-, Pflege- und Bildungsdienstleistern, Selbsthilfeorganisationen, Politik, Behörden und Verwaltung sowie Wirtschaft bzw. Unternehmen, Schulen und Hochschulen.
Ausgangspunkt bilden Interesse und Nachfrage des jeweiligen Sozialraums. Der Entwicklungsprozess wird offen, agil, partizipativ und digital sowie langfristig gestaltet. Zum Gelingen trägt überdies der Anspruch für die Demokratiearbeit bei sowie hierfür Lösungswege und Ressourcen vor Ort gemeinsam und langfristig zu entwickeln. Dadurch trägt ALIA dazu bei, ideelle und materielle Ressourcen vor Ort sukzessive zu entwickeln. Handlungsleitend für die sozialräumlichen Akteur:innen, Anspruchsgruppen und Netzwerke ist dabei weniger eine ökonomische Motivation, sondern vielmehr die Vernachlässigung von originären Zuständigkeits- und Sektorengrenzen – es geht um die Übertragbarkeit der Ergebnisse in Lösungen. Initial tragen die Ressourcen der LUCE Stiftung mit zweckgebundenen kommunalen Zuwendungen und langfristig in der Regel die Kommunen (und Unternehmen vor Ort) selbst die finanzielle Verantwortung. In der kleinen Modellgemeinde Weiherhammer mit ca. viertausend Einwohner:innen sind dies neben Sach- und Investitionskosten derzeit ein Koordinator der gemeindlichen Nachbarschaftshilfe sowie eine gemeindliche Präventionslotsin.
Die Wirkung des Modellprojekts zeigt sich bereits aktuell in der erfolgreichen Etablierung gemeindlicher Präventionsarbeit sowie der Nachbarschaftshilfe mit Begleitung der Bürgerinitiative Team Digivolution, die zur Förderung der digitalen Teilhabe älterer Menschen beiträgt. Die (digitale) Teilgabe und Teilhabe erfolgt in unterschiedlichen Formaten über gemeinsam entwickelte Bildungs-, Beratungs- und Kulturangebote sowie zahlreichen Veranstaltungen und Aktionstage rund um Gesundheit, Sorge, Pflege und Digitalisierung. Zudem konnte ein Wohn- und Versorgungskonzept für ein Bauvorhaben (Fertigstellung 2027) mit Raum- und Freiraumplanung für einen inklusiven Lebensraum (ALIA-Areal) gemeinsam entwickelt werden. Alle Engagierten wirken dabei als Multiplikator:innen in unterschiedlichen Engagement- und Themenfeldern mit. Dadurch zeigen sich bereits Transferansätze im Projekt Sorgende Stadt Hemau, in dem die Initiierung einer lokal-regionalen Fachkräfteallianz für Pflegeberufe erreicht werden konnte.
Die bereits langjährigen Erfahrungen des Projekts zeigen, dass ein Umsetzungserfolg v.a. durch ein ergebnisoffenes Vorgehen und die Bereitschaft aller Beteiligten zur Kooperation erreicht werden kann. „Sorgende Gemeinschaft“ ist daher weniger vorab zu definieren als vielmehr zu entwickeln und ist dabei geprägt von anspruchsvollen Kommunikationsprozessen. ALIA wurde für seinen sozial innovativen Ansatz zuletzt im November 2024 mit dem „Gesundheits- und Pflegestern der ikk classic“ unter dem Motto „Im Alter gut versorgt in meiner Kommune“ ausgezeichnet. Gleiches gilt für die gemeindliche Nachbarschaftshilfe „Helfen mit Herz“, die andere Kommunen der Region beim Aufbau von analogen Strukturen berät und hierfür im Dezember 2024 von der AOK Bayern und dem Netzwerk Nachbarschaft (Hamburg) mit dem „AOK-Förderpreis Gesunde Nachbarschaften“ ausgezeichnet wurde. Die Erkenntnisse aus dem Projekt lassen sich jedoch auch in andere Sozialräume übertragen. Die größten Potentiale bieten u.a. die noch stärkere Einbindung von Unternehmen vor Ort, die absehbare Neuausrichtung von ambulanter Sorge und Pflege, das demografische Potential der Zivilgesellschaft sowie die Notwendigkeit von Sorge und Mitverantwortung der Kommune.
Kriterien für gelungene Praxis – Zugang, Durchführung und Transfer
Wie die Angebote und Leistungen im Wirkungsbereich der Arbeit mit und für ältere Menschen in Deutschland erweisen sich auch die Kriterien für gelungene Praxis als vielfältig. Sowohl für bereits langjährig tätige Akteur:innen als auch Neueinsteiger:innen haben Köster und Kolleg:innen (2008) in diesem Sinne 12 Qualitätsziele (QZ) formuliert, eingebettet in die drei Qualitätszieldimensionen: Zugangs-, Durchführungs- und Transferqualität, die Akteur:innen in ihrer Arbeit eine Orientierung bieten.
Im Rahmen des Zugangs fragen die zugehörigen QZ nach der Ausarbeitung einer zielgruppenspezifischen und gegenüber Lebenslagen sensiblen Ansprachestrategie für ein Angebot oder eine Leistung von Akteur:innen. In der Dimension Durchführung werden anschließend Fragen nach Selbstbestimmung und Mehrwert für Angebotswahrnehmende und dessen nachhaltige Sicherung gestellt. Im Transfer geht es dann darum, Gelerntes aus der Anwendungsfähigkeit und -praxis sowie den Nutzen zu reflektieren.
Die einzelnen Qualitätsziele dienen dabei als Instrumente, um das individuelle Leitbild der Akteur:innen zu sichern. Aus diesem Grund gilt auch nicht „Je mehr, desto besser“. Qualitätsziele dienen dazu, eine Stimmigkeit und Begründetheit der Angebote und Leistungen mit dem Leitbild der Akteur:innen prozessual (wieder-)herzustellen. Akteur:innen stellen sich im Rahmen der Qualitätsziele also Relfexionsfragen, was für ihr jeweiliges Angebot oder ihre Leistung vor dem Hintergrund des Leitbildes Sinn ergibt und möglich ist.
Zugangsqualität
- Die Vielfalt des Alter(n)s wird in der Ansprachestrategie differenziert betrachtet
- Es besteht eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Themen, Ideen und Konzepten
- Transparenz, Sichtbarkeit und Vernetzung mit anderen Akteur:innen im Feld und vor Ort
Durchführungsqualität
- Ein verlässlicher Etablierungsrahmen besteht
- Kontakt- und Gemeinschaftsförderung sowie -etablierung werden gefördert
- Prozesse und Strukturen erfolgen partizipativ (Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsstrukturen)
Transferqualität
- Ermöglichungsstrukturen für freiwilliges Engagement und Multiplikation bestehen
- Kompetenz- und ressourcenorientierte Selbstorganisation wird gefördert (Maßnahmen und Projekte, ggf. über Projektrahmen hinaus)
- wissenschaftliche Begleitung und Bereitstellung von Wissen für interessierte Akteur:innen
Materialien und Links
- Flyer Sorgende Gemeinde Weiherhammer – Begleitungs- und Beratungsangebote
- Nachbarschaftshilfe Weiherhammer
- Präventionslotse Weiherhammer
- Broschüre Bildung Dorf 2.0
- Website Sorgende Stadt Hemau
- Informationsvideo ALIA Beratungsangebote: Pflegeberatung (YouTube)
Kontakt und weitere Informationen
Lars und Christian Engel Stiftung
Paul-Engel-Str. 1
92729 Weiherhammer
Dr. David Rester
Tel.: 09605 919 9386
E-Mail: drester@luce-stiftung.de
Web: www.luce-stiftung.de; www.alia.de
Literaturhinweise
Köster, D., Schramek, R. & S. Dorn, 2008: Qualitätsziele moderner SeniorInnenarbeit und Altersbildung. Oberhausen: ATHENA.
Letzte Aktualisierung: 29. September 2025