Praxis:Nah 08/2025 – Einblick in gelingende Senior:innenarbeit
Digitalisierung findet nicht nur in der Stadt statt. Auch auf dem Land hilft sie, die Lebensqualität zu verbessern.
-N.N., zur Verfügung gestellt durch Etteln aktiv e.V.
Im Ortsteil Etteln der Gemeinde Borchen zeigt der Verein Etteln aktiv e.V., wie durch bürgerschaftliches Engagement und digitale Lösungen das Zusammenleben im ländlichen Raum gestärkt und die Lebensqualität für alle Generationen verbessert werden kann. Zwei zentrale Projekte stehen dabei im Mittelpunkt: das EttCar und die digitale Dorfplattform Crossiety. Beide Angebote sind generationenübergreifend angelegt, fördern das Miteinander und erleichtern den Alltag – sowohl im privaten Bereich als auch im Vereinsleben.
Das EttCar ist ein elektrisch betriebenes Fahrzeug mit sieben Sitzplätzen, das allen Ettelner Bürger:innen mit gültiger Fahrerlaubnis kostenlos zur Verfügung steht. Die Buchung erfolgt unkompliziert über eine Mobil-App. Das Fahrzeug kann dann 30 Minuten nach der letzten Fahrt erneut gebucht werden. Vor und nach jeder Nutzung wird abgefragt, ob Schäden am Fahrzeug vorliegen. Das EttCar wird dabei nicht nur für private Fahrten genutzt, sondern auch für Vereinsaktivitäten und gemeinschaftliche Unternehmungen. Besonders während der Corona-Pandemie hat sich das Angebot als wertvoll erwiesen: Es ermöglichte Fahrgemeinschaften zu Impfaktionen, unterstützte sozial schwächere Menschen beim Einkauf – etwa Geflüchtete – und half Familien, die über kein eigenes Fahrzeug verfügten. So profitieren auch Personen ohne eigenes Auto von der Möglichkeit, mobil zu sein und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Die Finanzierung des EttCars erfolgte zu 65 % über ein EU-LEADER-Projekt und zu 35 % über die Gemeinde Borchen. Die laufenden Kosten werden durch Spenden gedeckt, darunter ein Preisgeld von 6.000 € des Westfalen Weser Netz für ein Leuchtturmprojekt sowie die Übernahme der Stromkosten durch Westfalen Wind. Die Wartung und Pflege des Fahrzeugs übernehmen engagierte Ettelner, die auch bei technischen Fragen und Problemen mit der App unterstützen. Die Rolle der Engagierten ist dabei zentral: Sie koordinieren die Nutzung, helfen bei digitalen Herausforderungen, überwachen die Finanzen und sorgen für die Instandhaltung des Fahrzeugs.
Das zweite Projekt, die Dorf-App Crossiety, ergänzt das Mobilitätsangebot durch eine digitale Plattform, die das soziale Leben im Ort sichtbar und zugänglich macht. Die App bietet verschiedene Module wie den Dorfplatz, auf dem Beiträge zu Neuigkeiten, Diskussionen, Hilfsangeboten und Umfragen veröffentlicht werden können sowie einen Eventkalender, einen Marktplatz für Angebote und Gesuche, Gruppenfunktionen mit öffentlichen und internen Beiträgen und eine Nachbarschaftsfunktion. So eine Dorf-App ermöglicht eine bessere Vernetzung in der Gemeinde und fördert den Austausch zu diversen Themen. Auch Menschen ohne Smartphone können über einen öffentlichen Bildschirm beim örtlichen Bäcker auf die Inhalte zugreifen und können ebenso teilhaben. Die App bietet Funktionen, die an bekannte Dienste erinnern – jedoch lokal und datenschutzfreundlich organisiert sind. Der Ortsvorsteher kann über die App wichtige Mitteilungen an alle Bürger:innen senden und Gruppen können eigene Chats einrichten.
Die Umsetzung der beiden Projekte begann 2017 mit der Ideenentwicklung im Rahmen des IKEK-Prozesses. 2018 wurde der LEADER-Antrag gestellt, 2020 ging das EttCar dann in Betrieb und 2021 folgte die Einführung der Crossiety-App. Beide Projekte sind offen für eine Übertragung auf andere Orte – die Projektdokumente stehen zur freien Verfügung und Kontakte zu Lieferant:innen werden auf Nachfrage vermittelt. Die Erfahrungen zeigen, dass Digitalisierung und Mobilität auch im ländlichen Raum erfolgreich umgesetzt werden können, wenn engagierte Menschen sich für ihre Gemeinschaft einsetzen.
Herausforderungen gibt es dennoch: Beim EttCar kommen vereinzelt technische Probleme wie der Ausfall der Elektronik oder eine gestörte Internetverbindung zwischen System und Handy vor. Auch die dauerhafte Ansprechbarkeit für Nutzer:innen, die mit der Technik nicht vertraut sind, ist notwendig. Bei der App ist die gezielte Auswahl von Gruppen und die Benachrichtigung einzelner Nutzer:innen eine Herausforderung, die eine sorgfältige Organisation erfordert.
Trotz dieser Herausforderungen überwiegen die positiven Effekte: Die Projekte fördern die Selbsthilfe, stärken die Dorfgemeinschaft und ermöglichen Teilhabe für alle – unabhängig von Alter, Herkunft oder technischer Ausstattung. Sie zeigen, wie durch lokale Initiativen und digitale Werkzeuge neue Wege für ein solidarisches und lebendiges Miteinander entstehen können.
Kriterien für gelungene Praxis – Zugang, Durchführung und Transfer
Wie die Angebote und Leistungen im Wirkungsbereich der Arbeit mit und für ältere Menschen in Deutschland erweisen sich auch die Kriterien für gelungene Praxis als vielfältig. Sowohl für bereits langjährig tätige Akteur:innen als auch Neueinsteiger:innen haben Köster und Kolleg:innen (2008) in diesem Sinne 12 Qualitätsziele (QZ) formuliert, eingebettet in die drei Qualitätszieldimensionen: Zugangs-, Durchführungs- und Transferqualität, die Akteur:innen in ihrer Arbeit eine Orientierung bieten.
Im Rahmen des Zugangs fragen die zugehörigen QZ nach der Ausarbeitung einer zielgruppenspezifischen und gegenüber Lebenslagen sensiblen Ansprachestrategie für ein Angebot oder eine Leistung von Akteur:innen. In der Dimension Durchführung werden anschließend Fragen nach Selbstbestimmung und Mehrwert für Angebotswahrnehmende und dessen nachhaltige Sicherung gestellt. Im Transfer geht es dann darum, Gelerntes aus der Anwendungsfähigkeit und -praxis sowie den Nutzen zu reflektieren.
Die einzelnen Qualitätsziele dienen dabei als Instrumente, um das individuelle Leitbild der Akteur:innen zu sichern. Aus diesem Grund gilt auch nicht „Je mehr, desto besser“. Qualitätsziele dienen dazu, eine Stimmigkeit und Begründetheit der Angebote und Leistungen mit dem Leitbild der Akteur:innen prozessual (wieder-)herzustellen. Akteur:innen stellen sich im Rahmen der Qualitätsziele also Relfexionsfragen, was für ihr jeweiliges Angebot oder ihre Leistung vor dem Hintergrund des Leitbildes Sinn ergibt und möglich ist.
Zugangsqualität
- Die Vielfalt des Alter(n)s wird in der Ansprachestrategie differenziert betrachtet
- Es besteht eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Themen, Ideen und Konzepten
- Transparenz, Sichtbarkeit und Vernetzung mit anderen Akteur:innen im Feld
Durchführungsqualität
- Ein verlässlicher Etablierungsrahmen besteht
- Kontakt- und Gemeinschaftsförderung sowie -etablierung werden gefördert
- Prozesse und Strukturen erfolgen partizipativ (Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsstrukturen)
Transferqualität
- Ermöglichungsstrukturen für freiwilliges Engagement und Multiplikation bestehen
- Kompetenz- und ressourcenorientierte Selbstorganisation wird gefördert (Maßnahmen und Projekte, ggf. über Projektrahmen hinaus)
Kontakt und weitere Informationen
Etteln aktiv e.V.
Ulrich Ahle
Westernstr. 42
33179 Borchen-Etteln
E-Mail: ahleulrich@gmail.com
Web: https://www.etteln-aktiv.de
Literaturhinweise
Köster, D., Schramek, R. & S. Dorn, 2008: Qualitätsziele moderner SeniorInnenarbeit und Altersbildung. Oberhausen: ATHENA.
Letzte Aktualisierung: 15. September 2025