Wohnen statt Unterbringung – bundesweite Netzwerke für selbstbestimmtes Wohnen

Praxis:Nah 10/2025 – Einblick in gelingende Senior:innenarbeit

Die Suche nach einer Wohnung gleicht vielerorts wie einer langen Bergwanderung. Ohne Seilschaften und verlässliche Wegbegleiter ist der steinige und oftmals steile Anstieg kaum zu bewältigen.

Corinna Höckesfeld, Projektleitung „Wohnen statt Unterbringung“
(Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH).

„Wohnen statt Unterbringung“ ist ein bundesweiter Projektverbund, der von der Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH koordiniert wird. Ziel des Projekts ist es, Netzwerkstrukturen an der Schnittstelle von Wohnen, Migration und Wohnungsnotfallhilfe aufzubauen und zu stärken. Gleichzeitig werden Strukturen für eine community-basierte Wohnberatung geschaffen und Menschen aus verschiedenen Communities zu Multiplikator:innen ausgebildet, um andere bei der Wohnungssuche aktiv zu unterstützen. Das Projekt wird in Kooperation mit der Welcome Alliance von ProjectTogether sowie den Migrantenselbstorganisationen Haus der Kulturen e.V. in Lübeck und Afropa e.V. in Dresden umgesetzt und von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration sowie der Beauftragten für Antirassismus gefördert.

Die Relevanz des Projekts für die Senior:innenarbeit wird deutlich, wenn man die demografischen Daten betrachtet: Nach Daten des Mikrozensus des statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2020 haben in Deutschland ca. 26,7 % der Gesamtbevölkerung einen Migrationshintergrund, wovon ca. zwei Drittel selbst eine Einwanderungserfahrung gemacht haben  (bpb 2022). Knapp die Hälfte der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland befindet sich in der zweiten Lebenshälfte (ca. 10 Millionen), ist somit also 35 Jahre alt oder älter (ebd.). Damit betrifft die Sicherung von angemessenem Wohnraum für Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur junge Erwachsene, sondern zunehmend auch ältere Menschen – ein Aspekt, der für die Senior:innenarbeit von hoher Bedeutung ist, da selbstbestimmtes Wohnen einen zentralen Faktor für Teilhabe, Gesundheit und Lebensqualität im Alter darstellen kann.

Bisher konnten im Rahmen des Projekts rund 130 Akteur:innen aus etwa 30 Communities zu Multiplikator:innen ausgebildet werden. Sie fungieren als Brücken zwischen Ratsuchenden und Fachstellen, da sie die spezifischen Anliegen ihrer Community gut kennen und kommunizieren können. Die Umsetzung der Multiplikator:innen-Schulungen erfolgt partizipativ: Zunächst wird der Bedarf gemeinsam mit den Communities abgefragt, dann werden Schulungsunterlagen erstellt und über zielgruppengerechte Kanäle wie WhatsApp-Gruppen, Vereine oder Infostände beworben. Die Durchführung findet an bekannten und niedrigschwelligen Orten statt und die Zertifikatsübergabe wird mit einer kleinen Feier verbunden. Regelmäßige Austauschtreffen sichern die Nachhaltigkeit. Niedrigschwellige Formate wie offene Wohn-Cafés oder zielgruppenspezifische Workshops ermöglichen direkte Unterstützung bei Fragen rund um das Thema Wohnungssuche. Auf Bundesebene bringen Netzwerkveranstaltungen Akteur:innen aus Wohnungswirtschaft, Wissenschaft, Migrationssozialarbeit, Wohnungsnotfallhilfe, Kommunen, MSOs, Zivilgesellschaft und Interessensverbänden zusammen. Gemeinsam werden Good-Practice-Beispiele vorgestellt und Lösungsansätze entwickelt, um den Zugang zu Wohnraum für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte zu verbessern.

Die Wirkung des Projekts zeigt sich auf mehreren Ebenen: Neben den ausgebildeten Multiplikator:innen entstand das Praxisbuch „selbst. bestimmt. wohnen.“, das wertvolle Tipps und Impulse für Beratung und Unterstützung rund um die Schnittstelle Migration und Wohnen bietet. Die dem Projekt gleichnamige digitale Wissensplattform dokumentiert darüber hinaus Infomaterialien, Handreichungen und Lessons Learned aus der Praxis. Niedrigschwellige Dialogformate, offene Wohn-Cafés und zielgruppenspezifische Workshops ermöglichen direkten personellen Austausch und praktische Unterstützung.

Aus den Erfahrungen des Projekts lassen sich zentrale Empfehlungen ableiten: Beteiligung ernst nehmen und von Beginn an einplanen, Kontinuität und Regelmäßigkeit bei Austauschformaten gewährleisten, Multiplikator:innen angemessen entlohnen und Erfahrungswissen auf Augenhöhe anerkennen. Verlässliche Rahmenbedingungen und feste Ansprechpersonen sind entscheidend, damit Ratsuchende, Vermieter:innen und Multiplikator:innen langfristig unterstützt werden können. Außerdem sind für die erfolgreiche Umsetzung des Projekts personelle und organisatorische Ressourcen entscheidend. Mindestens eine Projektstelle koordiniert die Community-basierten Angebote, während zwei weitere Stellen für den Aufbau und die Pflege der Netzwerkstrukturen sowie die Durchführung von Dialog- und Netzwerkveranstaltungen zuständig sind.

Kontakt und weitere Informationen

Frau Corinna Höckesfeld (Projektleitung)
E-Mail: corinna.hoeckesfeld@tuerantuer.de
Web: www.tuerantuer.de ;  www.wohnprojekt-augsburg.de
Instagram: https://www.instagram.com/wohnprojektaugsburg/

Kriterien für gelungene Praxis – Zugang, Durchführung und Transfer

Eigene Darstellung nach Vorlage (Köster et al. 2008).

Wie die Angebote und Leistungen im Wirkungsbereich der Arbeit mit und für ältere Menschen in Deutschland erweisen sich auch die Kriterien für gelungene Praxis als vielfältig. Sowohl für bereits langjährig tätige Akteur:innen als auch Neueinsteiger:innen haben Köster und Kolleg:innen (2008) in diesem Sinne 12 Qualitätsziele (QZ) formuliert, eingebettet in die drei Qualitätszieldimensionen: Zugangs-, Durchführungs- und Transferqualität, die Akteur:innen in ihrer Arbeit eine Orientierung bieten. 

Im Rahmen des Zugangs fragen die zugehörigen QZ nach der Ausarbeitung einer zielgruppenspezifischen und gegenüber Lebenslagen sensiblen Ansprachestrategie für ein Angebot oder eine Leistung von Akteur:innen. In der Dimension Durchführung werden anschließend Fragen nach Selbstbestimmung und Mehrwert für Angebotswahrnehmende und dessen nachhaltige Sicherung gestellt. Im Transfer geht es dann darum, Gelerntes aus der Anwendungsfähigkeit und -praxis sowie den Nutzen zu reflektieren. 

Die einzelnen Qualitätsziele dienen dabei als Instrumente, um das individuelle Leitbild der Akteur:innen zu sichern. Aus diesem Grund gilt auch nicht „Je mehr, desto besser“. Qualitätsziele dienen dazu, eine Stimmigkeit und Begründetheit der Angebote und Leistungen mit dem Leitbild der Akteur:innen prozessual (wieder-)herzustellen. Akteur:innen stellen sich im Rahmen der Qualitätsziele also Relfexionsfragen, was für ihr jeweiliges Angebot oder ihre Leistung vor dem Hintergrund des Leitbildes Sinn ergibt und möglich ist. 

Zugangsqualität 

  • Die Vielfalt des Alter(n)s wird in der Ansprachestrategie differenziert betrachtet 
  • Es besteht eine grundsätzliche Offenheit gegenüber neuen Themen, Ideen und Konzepten
  • Transparenz, Sichtbarkeit und Vernetzung mit anderen Akteur:innen im Feld 

Durchführungsqualität 

  • Ein verlässlicher Etablierungsrahmen besteht 
  • Diversifizierte Expertisen und Kompetenzen kommen zusammen
  • Kontakt- und Gemeinschaftsförderung sowie -etablierung werden gefördert
  • Qualifizierungsmöglichkeiten und Gewinn individueller Mehrwerte werden ermöglicht
  • Lernherausforderungen sowie biographie- und beziehungsorientierte Persönlichkeitsentwicklung werden ermöglicht
  • Kontakt- und Gemeinschaftsförderung sowie -etablierung werden gefördert 
  • Prozesse und Strukturen erfolgen partizipativ (Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsstrukturen)

Transferqualität 

  • Ermöglichungsstrukturen für freiwilliges Engagement und Multiplikation bestehen
  • Kompetenz- und ressourcenorientierte Selbstorganisation wird gefördert (Maßnahmen und Projekte, ggf. über Projektrahmen hinaus)

Literaturhinweise

Bundeszentrale für Politik (bpb), 2022: Soziale Situation in Deutschland: Bevölkerung mit Migrationshintergrund. URL: [https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61646/bevoelkerung-mit-migrationshintergrund/]. Zuletzt aufgerufen am 23. Oktober 2025.

Köster, D., Schramek, R. & S. Dorn, 2008: Qualitätsziele moderner SeniorInnenarbeit und Altersbildung. Oberhausen: ATHENA.

Letzte Aktualisierung: 7. November 2025

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